PROJEKTE

„Museum macht stark“

2023 findet das Jubiläumsjahr „375 Jahre Westfälischer Frieden“ statt. Die Schließung des Westfälischen Friedens vor 375 Jahren in Münster und Osnabrück sowie das Ende des Ersten Weltkrieges vor 105 Jahren sind historische Daten, die Anlass bieten sich zu fragen, warum Menschen sich zu allen Zeiten den Frieden wünschen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Frieden entstehen und bestehen kann, und welche Auswirkungen er auf die zeitgenössische Kunst hat. Das Thema Krieg und Frieden ist in Westfalen vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der jüngeren Zeit gerade heute immer noch ein wichtiges und aktuelles Thema. Das Projekt möchte dort anknüpfen. Es fand eine Kooperation mit der Gesamtschule Lengerich/Tecklenburg und dem Heimatverein in Lengerich statt. An zehn Projekttagen nahmen freiwillige Schüler:innen der 9. Klassen an dem Projekt teil, sich mit den Kontexten rund um den Frieden und die Entstehung von Kriegen beschäftigten. Inhaltlich ging es einerseits generell um das Thema Krieg in der Geschichte, aber auch um Kriege in der aktuellen Zeit gehen mit besonderem Fokus auf Friedensbildung in kleineren alltäglichen und größeren weltpolitischen Kontexten. Künstler:innen haben sich in der Vergangenheit und auch der Gegenwart aktiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Gemeinsam wurde dem Thema bildhauerisch begegnet und in digitaler Form durch den Einsatz von Augmented Reality erweitert, das heißt wir erzeugten eine erweiterte Realität. Der Inhalt und die genaue Form der künstlerischen Arbeit, wurde jedoch erst im Verlauf des Projekts zusammen mit den Künstler:innen und Teilnehmer:innen entwickelt. Um das hochkomplexe Thema aufzuarbeiten, war nicht nur der Besuch im Museum geplant. Es wurden zudem Kriegsdenkmäler und Kriegsstätten unterschiedlicher Kriege besucht. Um etwas mehr über die vergangenen Geschehnisse in der eigenen Stadt zu erfahren, gab der Heimatverein in Lengerich den Schüler:innen Führungen durch die Stadt und alltägliche Orte wurden aus Geschichtsperspektive genauer betrachtet. Ausgangspunkt unserer Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden waren die individuellen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Entwicklungshorizonte der einzelnen Teilnehmer:innen, die in einem Austausch mit den Blickwinkeln Anderer vergegenwärtigt, hinterfragt und bildnerisch umgesetzt wurden.

Mitwirkende Künstler:innen:

Johanna K. Becker; Wil Borgmann; Anne Büssgen; Philip Sawicki und Stephanie Sczepanek

AUFTAKT

Zunächst haben wir versucht, den Begriff „Frieden“ zu definieren und haben Worte gesammelt, die dieser Begriff in sich vereint. Nach einer kurzen Einführung in das Thema haben die Schüler:innen jeweils drei Begriffe, die das Konzept „Frieden“ beschreiben, auf Zettel geschrieben. Diese wurden eingesammelt, gemischt und anschließend gezogen. Dabei haben sich die Schüler:innen einer Definition sowohl aus dem eigenen Empfinden als auch aus der politischen Perspektive heraus angenähert. Jede:r Schüler:in hat nun 3 Zettel gezogen und zu den Begriffen auf den Zetteln eine Zeichnung in A3 angefertigt.

Wir haben den Kurzfilm „Neighbours“ von Norman McLaren gezeigt und besprochen. Im Anschluss haben die Schüler:innen in Kleingruppen die bekanntesten Friedenssymbole erarbeitet und vorgestellt. Dann hat jede:r ein eigenes Friedenssymbol entworfen. Dieses wurde mittels Styroldruck auf A4- Papier gedruckt. In einem zweiten Druckvorgang haben die Schüler:innen mit ihren jeweiligen Symbolen zusammen ein Poster mit ihren Friedenssymbolen gedruckt.

BESUCH IM OMMT

Die Geschäftsführerin Uta Jenschke hat die Schüler:innen begrüßt und Wissenswertes zum Namensgeber des Museums und zum Haus selbst erzählt.Im Anschluss haben wir mit den Schüler:innen Werke in der Ausstellung angeschaut und besprochen. Dazu haben die Schüler:innen selbst zwei Werke ausgesucht, die ihnen besonders aufgefallen sind. Stimmungen und bekannte Situationen waren für die Auswahl der Werke ausschlaggebend. Im Kabinettraum ist besonders der Holzboden aufgefallen, der anhand seiner Struktur von seinem langen Leben erzählt. Themen wie Denkmalschutz, bewahren und erinnern waren Themen des Gesprächs dazu. Die Schüler:innen haben besonders prägnante Strukturen des Bodens in Frottagen festgehalten. Im Obergeschoss haben wir vor der Ansicht Tecklenburgs von Otto Modersohn darüber gesprochen, wie sich Landschaft im Laufe der Zeit verändert. Die Mauersteine aus der Burg im Obergeschoss regten zu Gedanken zu Wiederverwertung und versteckten Zeugnissen der Geschichte an.

Dann sind wir hoch zur Burg gewandert. Auf dem Weg dorthin und auf dem Burggelände selbst haben die Schüler:innen weitere prägnante Strukturen mittels Frottagetechnik auf Papier festgehalten. Zurück im Museum wurden diese Frottagearbeiten in Formen geschnitten (angelehnt an die in Form und Größe verschiedenen Steinstücke der Burg in der Mauer des Museums). Auf einer langen Papierbahn haben die Schüler:innen ihre Strukturstücke zu einem Bild zusammengesetzt. Im Burghof der Burg, eine große Rasenfläche, haben wir Planer beobachtet, die eine neue Gestaltung des Burggartens besprachen. Dadurch angeregt haben die Schüler:innen Zeichnungen zu einer friedlichen Nutzung der Burganlage angefertigt und diese mit auf die Papierbahn geklebt.

STOLPERSTEINE

Wir haben uns mit Herrn Hammerschmidt, der für den Heimatverein Führungen zu den verlegten Stolpersteinen in Lengerich anbietet, vor dem Rathaus von Lengerich getroffen. Trotz des starken Regens haben wir uns auf den Weg gemacht, um etwas über die jüdischen Bürger:innen Lengerichs zu erfahren, an die mittels der Stolpersteine erinnert werden soll. Unsere erste Station war das Römertor in der Altstadt. Dort erzählte uns Herr Hammerschmidt von einer Familie, die direkt neben dem Römertor ihr Ladengeschäft nebst Wohnung hatten. Das Haus wurde nach der Deportation der Familie angezündet. An der Stelle gibt es heute kein Gebäude mehr, die Wegeführung in der Stadt wurde also umfassend verändert. Herr Hammerschmidt hatte Fotos mitgebracht, mithilfe derer wir die Ortsveränderung vergleichen konnten. Wir besuchten den Ort, an dem derzeit die Synagoge stand, die vollständig zerstört wurde. An dieser Stelle liegt ein Stolperstein, der vor ca drei Jahren stark beschädigt wurde. Wir sprachen in der Gruppe darüber, ob es besser sei, den Stein in diesem halbzerstörten Zustand zu belassen oder ihn gegen einen neuen Stein auszustauschen. Daraus entstand ein kontrovers geführtes Gespräch innerhalb der Gruppe. Die einen sprachen sich dafür aus, den Stein so zu lassen, um die rechtsextremistische Bedrohung für Jüdinnen und Juden bewusst zu machen. Andere vertraten die Position, dass ein Belassen des Steins in seinem Zustand den Anschein erwecken könnte, die Stadt würde sich nicht kümmern und wäre gleichgültig gegenüber der Zerstörung. Der Besuch des Ortes, an dem das „Judenhaus“ stand, eine Sammelunterkunft für die Jüd:innen Lengerichs, machte uns das Thema der Vertreibung bewusst.

YadVashem und PAPIERMACHÈ OBJEKTE

Der Termin nach unserer Führung zu den Stolpersteinen Lengerichs fand in der Gesamtschule statt. Wir besprachen die Inhalte der Führung nach, da sich mit den Schüler:innen auf dem Rückweg aus der Innenstadt zur Schule noch Fragen im Gespräch ergaben, die wir nicht unbeantwortet lassen wollten. So haben wir die Inhalte der Führung zunächst nochmal in eigenen Worten zusammengefasst und überlegt, was besonders nachdrücklich in Erinnerung geblieben war.

Als zentralen Ort der Erinnerung haben wir das Dokumentationszentrum Yad Vashem in Israel besprochen. Uns interessierte, auf welche Art an diesem Ort Informationen gesammelt und Erinnerungen aufbereitet und vermittelt werden. Dazu haben wir uns zusammen auf dem Whiteboard die Homepage von Yad Vashem angesehen. Das Kunstprojekt „Das Buch der Namen“ von Charan de Lange bot eine Verbindung zu den Stolpersteinen. In diesem Buch sind 4,5 Mio Namen und Herkunftsdaten von jüdischen Opfern der Shoah vermerkt und vor Ort einsehbar. Dieses Buch wird fortlaufend durch weitere Namen ergänzt. Dies zeigt, wieviel Zeit benötigt wird, um solche Menschheitsverbrechen zu dokumentieren und zu verarbeiten.

Eine Frage im Anschluss der Stolpersteine-Führung betraf das „Tal der Gemeinden“ in Yad Vashem. Herr Hammerschmidt hatte erzählt, dass Lengerich dort als „verlorene Gemeinde“ verzeichnet sei. Eine Schülerin hatte sich daraufhin gefragt, ob dieser Eintrag reversibel sein könnte, wenn sich in Lengerich heute wieder eine lebendige jüdische Gemeinde ansiedeln würde. Wir haben uns Fotos des Ortes in Yad Vashem angesehen. Die hohen Steinblöcke mit den eingravierten Namen der Gemeinden, die durch die Shoah ausgelöscht wurden, haben uns sehr beeindruckt. Auf der Seite gab es ein Foto in Nahaufnahme, auf dem die Gemeindenamen erkennbar waren. Es war bedrückend, Namen wie Duisburg oder Mühlheim ad Ruhr zu lesen und zu wissen, dass Lengerich auch dort zu finden ist.

Die Ehrung der „Gerechten unter den Völkern“ ist immer wieder Teil der Nachrichten in den Medien. Wir haben besprochen, was einen Menschen zu einem „Gerechten“ macht. Um den Bogen zur zeitgenössischen Kunst zu schlagen, haben wir das Werk des israelischen Künstlers Ariel Schlesinger besprochen, das im Lichthof des LWL Museums für Kunst und Kultur in Münster zu sehen war. Schlesinger platziert ungravierte Stolpersteine wie zufällig hingewürfelt im Raum.

Wir haben dann besprochen und gesammelt, was ein Denkmal ausmacht und wie es im öffentlichen Raum platziert sein sollte.

Die Schüler.innen haben dann aus Karton, Holzstäbchen, Papier und Papiermaché ein eigenes Friedensdenkmal entworfen. Dazu haben sie intuitive, allgemeine oder persönliche Interpretationszugänge gewählt. Zwei Schülerinnen aus Syrien beispielsweise haben ihre eigene Fluchterfahrung in einer gemeinsamen Skulptur verarbeitet. Einige Schüler:innen haben ihre Skulptur in einer Zeichnung an einem öffentlichen Raum platziert.

DER DOM ZU MÜNSTER UND DAS RATHAUS DES WESTFÄLISCHEN FRIEDENS

Das Bedürfnis der Schüler:innen die historischen Hintergründe von Frieden genauer zu beleuchten folgten wir weiter, indem wir einen weiteren Projekttag gestalteten. Dieser bestand zum einen aus einem Bildhauereiworkshops am Münsteraner Dom und zum anderen aus einem performativen Ansatz von uns auf dem Hof des Rathauses des westfälischen Friedens. Die Schüler:innen überlegten gemeinsam in kleinern Gruppen was der Begriff „Denkmal“ heißen könnte. Dabei stand im Vordergrund welche Funktionen Denkmälern zugetragen werden. Anhand von Bildmaterial wurden verschiedene Denk- und Mahnmäler in der gesamten Gruppe diskutiert. Dabei können für Münster der Zwinger, die Käfige der Lambertikirche oder die Figur von Paul Wulf thematisiert werden. Leitend ist die Frage: Was macht das Denkmal aus und welche Geschichte erzählt es. Anschließend haben die Schüler:innen sich dem Material Sandstein, als das Material aus dem in Münster und im Münsterland eine Vielzahl von Denkmälern produziert wurden, angenähert und gelernt diesen zu bearbeiten. Wir arbeiteten direkt an dem Ort, dem Marktplatz, wo im Mittelalter die Figuren und Objekte der umliegenden Kirchen geschaffen worden sind.

YSSELSTEYN UND WAR MUSEUM

Wir trafen uns mit dem Schulleiter Dr. Mertens am Soldatenfriedhof Ysselsteyn, um den Tagesverlauf zu besprechen und uns mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen. Nach Ankunft der Schüler:innen bekamen wir eine Führung über das Gelände. Wir erfuhren viel Interessantes und Berührendes über die Geschichte der Anlage und über die Menschen, die dort begraben sind und ihre Familien. Nach der Mittagspause besuchten wir das nahgelegene Kriegsmuseum. Die Ausstellung der Originalobjekte aus der Zeit des Nationalsozialismus‘ und des 2. Weltkriegs besteht aus einem chronologisch angeordneten Ausstellungsteil, der die Geschichte der deutschen Besatzung der Niederlande behandelt. Hier ergab sich ein Anknüpfungspunkt an die Inhalte unserer Führung in Ysselsteyn. Unser Guide wies darauf hin, dass dort Opfer und Täter Seite an Seite begraben sind. Er erzählte, dass es seinerzeit viele niederländische Kollaborateure gab, die die deutschen Besatzer unterstützt haben.

Ausserdem besichtigten wir in der Museumshalle eine große Sammlung an Kriegsgerät, Militärfahrzeugen u.a,. Dies verdeutlichte die Perspektivverschiebung, abhängig davon, von welcher Seite man auf die Geschichte blickt. Die Form des Erinnerns unterscheidet sich also maßgeblich, je nachdem, ob man aus der Perspektive der Besatzungsmacht oder der Besetzten und in der Folge Befreiten erinnert.

PROJEKTABSCHLUSS

Auf dem Marktplatz vor dem OMMT in Tecklenburg haben sich die Schüler:innen mit der App Adobe Aero vertraut gemacht. Nach einer kurzen Anleitung hat jede:r Schüler:in auf dem Ipad eigenständig die Umgebung mithilfe der App-Elemente verändert. Einige haben auf dem Marktplatz einen Wald wachsen lassen, ihren Vornamen in meterhohen Buchstaben aufs Pflaster gesetzt oder eine Freiluftausstellung mit geometrischen Formen eingerichtet.

Im Museumsgarten wurden dann eigene Friedenssymbole gezeichnet, die mit dem Ipad eingescannt, bearbeitet und freigestellt wurden. Diese Symbole wurden als Elemente gebündelt und zu einer digitalen Skulptur zusammengeführt. Diese Skulptur wurde dann in AR als gemeinsames Friedensstatement im öffentlichen Raum platziert.

Die Skulptur soll dauerhaft auf dem Schulgelände per QR-Code abgerufen werden können und wird während des Schulfestes im September eingeweiht werden.